Bericht (von Horst)

"Miles (100 mi) & more (7500 Hm)" unter diesem Motto stand mein diesjähriger Jahreshöhepunkt. Allerdings wurde dieser erst nach der erneuten Nichtauslosung für den Ultratrail Mount Blanc, als solcher festgelegt. Als ich im Januar erfuhr, dass ich bei diesem Ultralauf erneut wieder nicht am Start bin, war ich mehr als genervt, auch kurz versucht, die ganze Sache einfach abzublasen. Für diverse Triathlons war ich ja bereits gemeldet, auch, um nicht ganz aus dem Schwung zu kommen, einen kürzeren Bergultralauf hatte ich schon auf dem Programm. Nur passte alles nicht mit den möglichen Terminen zusammen, um möglichst schonend und zeitsparend noch schnell sieben Qualifikationspunkte für Frankreich zu sammeln. Im März habe ich mich dann endgültig entschloßsen, einen Triathlon gegen den "Zugspitz Ultratrail" zu tauschen und statt eines 100 km Berglaufes einen 100 Meilen bzw. 161 km Lauf zu machen. Schließlich musste ich ja weiterhin damit rechnen, dass ein Lauf wegen schlechten Wetters oder verletzungsbedingt ausfallen oder verkürzt werden könnte. Daher habe ich die frühest möglichen Termine für diese beiden Veranstaltungen gewählt, um evtl. im August oder September noch einen Ersatzlauf machen zu können.

Nach optimaler Vorbereitung und einem, um zwei Stunden schnelleren Zugspitz Ultratrail, als vor zwei Jahren, im Gepäck, stand ich also am Freitagmittag in Ruhpolding. Es ist schon erstaunlich, wie ich mich immer wieder dabei erwische, die anderen Athleten zu mustern und zu begutachten. Nach ihrem Äußeren beurteilt, befinde ich diese immer fitter und deutlich austrainierter als mich selbst, jedoch kann ich dabei natürlich nicht in ihre Köpfe sehen. Wenn ich merke, daß ich zu viel darüber grüble, hole ich mich selbst aus diesem Zustand heraus. Ich motiviere mich mit den bereits vergangenen Wettkämpfen, den hinter mir liegenden Trainingseinheiten und meiner eigenen mentalen Härte. Ich weiß, was ich kann, ich weiß genau, was ich mir zutraue, ich bin vielleicht nicht so fit wie die, aber härter im nehmen, einfach zäher und leidensfähiger. Letztendlich ist es das, was zählen wird auf einer Strecke von 100 Meilen, die Härte und die Ruhe, um nicht zu überpacen und das Rennen vorzeitig beenden zu müssen. Ein paar 100 km Läufe kannte ich ja bereits, aber die km jenseits der 100 km waren auch für mich Neuland.

Nach etwas hektischer Anreise am Freitagmittag, kam ich gerade noch kurz vor dem Racebriefing in Ruhpolding an. Der eigene Startzeitpunkt musste bei der Startnummernabholung angegeben werden, dieser konnte von 14.00 – 19.00 Uhr zu jeder vollen Stunde erfolgen. Soweit kein Problem, nur kam man bei km 87 nochmals im Sportstadion (Start & Ziel) vorbei und durfte aus organisatorischen Gründen das Stadion nicht vor 04.30 Uhr wieder verlassen. Dies sorgte natürlich auch bei mir im Vorfeld schon zu wilden Rechnereien. Kilometer und Höhenmeter berücksichtigt, alte Chiemgauer- und Zugspitzläufe berechnet, ich kenne die ersten 70 km nicht, den GPS-Track bereits im Navi, verlaufen eigentlich unmöglich, wenn doch wie lange, usw. usw. Natürlich wollte ich die Startzeit nicht zu früh wählen, um zu vermeiden, dass ich evtl. warten muss bis ich um 04.30 Uhr auf die Strecke kann, zu spät ist aber auch schlecht, ich möchte nicht in die zweite Nacht. Letztendlich entschied ich mich für 17.00 Uhr Startzeit, nach meinen Berechnungen müsste ich also um 05.30 Uhr wieder im Stadion sein.
Bei optimalen Bedingungen startete ich mit drei weiteren Teilnehmern um Punkt 17.00 Uhr, keine Gewitterneigung mehr auf dem Wetterradar, stattdessen versprach es eine sternenklare Nacht zu werden. Ausgerüstet mit einem Trinkrucksack, Windjacke, Erste Hilfe Set, Handy, Stirnlampe, Navi und ein paar Gels gingen wir nun auf die Reise durch die erste Nacht, ob es eine zweite Abenddämmerung auf der Strecke geben würde, wusste zu diesem Zeitpunkt noch keiner von uns. Bereits nach etwa 5 km trennten sich unsere Wege, jeder von uns Vier hatte andere Stärken und Schwächen, so daß ein gemeinsamer Lauf nicht möglich war. Zwei verabschiedeten sich nach vorne, einer nach hinten, ich ließ sie jedoch laufen und blieb einfach locker meinem Tempo treu. Einen von ihnen konnte ich bereits an der ersten Verpflegungsstelle wieder überholen, den Zweiten bekam ich längere Zeit nicht zu Gesicht.

Leider gelang mir das Mischungsverhältnis meines ersten Getränkes im Rucksack nicht so gut, dies machte mir speziell auf den ersten 30 km etwas zu schaffen. Auch im weiteren Verlauf konnte mein Magen, außer Früchte wie Orangen, Wassermelonen, Äpfel und Gels, nichts Anderes aufnehmen. Die weiteren Getränkemischungen bestanden dann immer aus 2 Teilen Wasser mit einer Prise Salz und 1 Teil Cola. Nach einem total kitschigen Sonnenuntergang hinter dem Chiemsee, mit der Stirnlampe die Nacht hindurch zu laufen, war herrlich. Auch die Strecke war mit Bändern und Reflektoren, sowie Pfeilen, bis auf zwei oder drei Stellen, sehr übersichtlich gekennzeichnet. Die Streckenposten und Versorgungen waren zum Glück alle, mit Begleitpersonen von Teilnehmern und einheimischen Helfern ausreichend belegt. Bis auf einen kleinen Sturz und ein aufgeschürftes Knie brachte die Nacht nichts Besonders. Meiner Zeit um 30 Minuten voraus, kam ich in der Morgendämmerung pünktlich zum Start des 100 km -Laufes um 05.00 Uhr im Stadion an. Hier wechselte ich in aller Ruhe mein Laufshirt sowie meine Socken. Die Stirnlampe und das Navi habe ich aus meinem Rucksack verbannt, um kein unnötiges Gewicht tragen zu müssen. Den Rest der Strecke kannte ich ja bereits.

Den Aufstieg zum Untersbergsattel und zur Hörndlwand genoß ich in diesem Jahr mehr denn je. Denn wenn man, wie ich bei meinen vergangenen Teilnahmen, über die 100 km Strecke startet, ist es bei diesem Aufstieg schon extrem heiß. Nach 102 km oben an der Hörndlwand angekommen, beschäftigte ich mich erstmals mit den Zeitabständen der vor mir laufenden Teilnehmer. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass der mit mir gestartete Läufer nur 12 Minuten vor mir war. Auf dem folgenden, sehr steilen und schottrigen Abstieg bis zur nächsten Verpflegung bei km 106, konnte ich ganze sechs Minuten auf ihn herauslaufen. Vor lauter Panik, dass er seine gute Platzierung verlieren könnte, als er mich an der Verpflegungsstelle noch sah, lief er wohl die folgenden Kilometer etwas zu schnell. So trafen wir uns also nach ca. 125 km erneut, er auf einem Baumstamm sitzend, ich vorbeilaufend. Als sein Rennen für diesen Tag beendet war, begann meines. Ich fühlte mich noch gut, allerdings nicht so gut, dass ich den Aufstieg zum Hochfelln laufen wollte. Ein gutes Stück daraus hat eigentlich einen angenehm zu laufenden Anstieg. Jedoch war der so mit langem Gras überwuchert, dass die Steine und Wurzeln am Rad des Weges nicht gut gesehen werden konnten. Da es linkerhand mit einer etwa 70° Neigung auf einem Wiesenhang steil bergab ging und das Heben der Beine nicht mehr so ganz flüssig funktionierte, beschloss ich, diesen Aufstieg lieber schnell wandernd zurückzulegen als laufend. Am Gipfel angekommen, musste ich den nach mir gestarteten, späteren Zweitplatzierten, passieren lassen. Ich konzentrierte mich weiterhin auf mein Rennen und auf meinen mittlerweile ziemlich sicheren 3. Platz. Der Abstieg auf allen Vieren durch die Latschenkiefern und Felsen funktionierte reibungslos und so konnte ich hochmotiviert und bester Laune die letzten ca. 20 km ins Ziel in Angriff nehmen. Bei km 153 startete ich noch den Versuch, unter der 25 Stundenmarke zu bleiben, allerdings musste ich etwa 3 km vor dem Ziel erkennen, dass dies heute wohl nicht mehr möglich sein sollte. War auch vollkommen egal, mein km Schnitt war über die gesamte Strecke um 3 Sekunden schneller, als auf den 100 km des Zugspitz Ultrail´s. Dies lag voraussichtlich an der Tatsache, dass hier je km nur 93, statt 108 Höhenmeter Anstieg je Kilometer zu bewältigen waren. Ich nahm also nochmals Tempo heraus und genoss die letzten 3 km bis zum Ziel in vollen Zügen. Das Teilnehmerfeld war diesmal mit 55 Startern voll besetzt. Darunter der 100 km Sieger von 2011 & 2012, der an diesem Tag den Streckenrekord um mehr als eine Stunde verbesserte, sowie der 100 Meilen Sieger von 2012, der als Zweitplazierter auch noch unter dem alten Streckenrekord blieb. Hinter diesen beiden als Dritter zu stehen, ist eine Ehre für mich und ich bin glücklich, nun endlich die langersehnte Teilnahme beim "Ultratrail Mount Blanc" in trockenen Tüchern zu haben.

Nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht, gab es am nächsten Tag die erste richtige Siegerehrung meines Lebens. Platz 3 Overall hört sich schon gut an. Wenngleich auch die Teilnehmerzahl überschaubar war, jede/r, der hier startet weiß, was er oder sie tut. Oder vielleicht doch nicht ganz? Über diese Strecke kamen nämlich lediglich 18 Teilnehmer ins Ziel, vier weitere verkürzten auf 141 km, der Rest musste den Lauf abbrechen. Bei meinem Saisonhöhepunkt 2015 hängen die Trauben dann noch etwas höher, hierfür wäre eine Top Ten Platzierung in der AK schon mehr als ein voller Erfolg.

55 Starter, 18 im Ziel
Platz 3 Gesamt
25:05:33 h
Höhenprofil der 100 Meilen